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Pfle­gende Ange­hö­rige: Warum die “Pflege zu Hause” gut über­legt sein sollte

Wenn die Eltern älter und pflegebedürftig werden, stehen Angehörige vor der Frage: Pflegeheim oder Pflege zu Hause? In unserem Fokus-Thema erfährst du: Wie kommst du zu einer guten Entscheidung? Wann ist der richtige Zeitpunkt, mit den Eltern zu sprechen? Wie kannst du dafür sorgen, dich nicht selbst zu überfordern? Lerne außerdem eine Familie kennen, die viel Positives erlebt, seit sie die Mutter daheim betreut.

Ältere Dame unterhält sich fröhlich mit ihrem Pfleger

Foto: Johanniter / Upfront Photo & Film GmbH

Pflege zu Hause: eine tägliche Herausforderung

Nicole Wörner hat gerade ein verlängertes Wochenende hinter sich: „Zwei Tage Ostsee, das hat gut getan!“ Kurze Auszeiten sind für sie wichtig: Zusammen mit ihrem Mann pflegt sie zu Hause ihre pflegebedürftige Mutter Brigitte. Die Woche ist durchgeplant. Nicole übernimmt an festen Tagen die Körperpflege. Sie sorgt auch dafür, dass ihre Mutter Brigitte Unterhaltung und soziale Kontakte hat. Um den Einkauf und die Mahlzeiten kümmert sie sich gemeinsam mit ihrem Vater. Außerdem bekommt die Familie Unterstützung von einer Haushaltshilfe. So reduziert sich der tägliche Stress.

Empathie und Motivation sind wichtig

Trotz aller Planung ist Flexibilität gefragt. „Wir wissen nie, was morgen ist“, erzählt Nicole. „Das Schmerzempfinden meiner Mutter lässt sich beispielsweise nicht planen, das ist jeden Tag anders.“ Das führt dazu, dass mitunter Einfachstes nahezu unmöglich erscheint. „Meine Hauptaufgabe ist dann eigentlich, meine Mutter dazu zu bringen, Dinge selbst zu erledigen. Duschen zum Beispiel.“ Denn trotz aller Einschränkungen nach einer komplizierten Hüftoperation ist Bewegung für die Rentnerin wichtig.

„Wir tun das Richtige!“

An guten Tagen ist das einfach. Physiotherapie ist zum Beispiel eine leichtere Übung. Denn hier machen sich Fortschritte bemerkbar. „Das ist für Körper und Seele gleichermaßen gut. Aber natürlich gibt es auch Tage, da geht gar nichts“, sagt die 45-Jährige. Die gelernte Verkäuferin ist sich trotz aller Belastungen sicher: „Ich und meine Familie tun das Richtige!“ Sie gewinnt ihrer Aufgabe als pflegende Angehörige etwas Positives ab. „Ich bekomme auch etwas zurück“, sagt sie. „Wir sind füreinander da. Diese Nähe ist einfach noch mehr geworden. Die Wertschätzung der eigenen Eltern tut gut.“

„Wir sind füreinander da. Diese Nähe ist einfach noch mehr geworden. Die Wertschätzung der eigenen Eltern tut gut.“ Nicole Wörner, pflegende Angehörige.

Pflegekraft sitzt am Tisch und schlägt Verwaltungsunterlagen auf

Nicole Wörner kümmert sich zuhause um ihre pflegebedürftige Mutter. Foto: Johanniter / Karl-Wiedenhofer

Im Fall der Fälle muss schnell reagiert werden

Die Wörners mussten sich von einem auf den anderen Tag für oder gegen die Pflege zu Hause entscheiden: Nach einer komplizierten Hüftoperation stand für Mutter Brigitte die Entlassung an. „Plötzlich musste alles sehr schnell gehen“, erzählt Nicole Wörner. „Ich habe mir gesagt: Was der Dienst macht, das kann ich besser, intensiver. Ich wollte unbedingt erreichen, dass sie wieder Eigenständigkeit erlangt.“ In kurzer Zeit organisierte die Familie Pflegebett, Roll- und Toilettenstuhl.

Entscheidung für die Pflege zu Hause ist eine Bauchentscheidung

Wie bei den Wörners ist häusliche Pflege in der Regel keine Vernunftentscheidung. Sie wird aus dem Bauch oder mit dem Herzen getroffen. Das belegt eine Studie der Techniker Krankenkasse. Fast die Hälfte der Befragten begründen ihre Entscheidung mit Pflichtgefühl und Familienzusammenhalt. Eine große Herausforderung ist dabei, dass den pflegenden Angehörigen einfach die Zeit fehlt, in diese neue Aufgabe hineinzuwachsen.

Ältere Dame und Pfleger sitzen gemeinsam auf der Couch und streicheln einen Hund

Foto: Johanniter / Upfront Photo & Film GmbH

„Laut Bundesministerium für Gesundheit gibt es circa 6,6 Millionen pflegende Angehörige in Deutschland. Tendenz steigend.“

Ein Pflegefall kann jederzeit eintreten

Familie Wörner ist ein typischer Fall. „Viele machen sich nicht klar, dass das durch Unfall oder Krankheit jeden Menschen treffen kann“, sagt Helvi Seehafer, Fachbereichsleitung Pflege der Johanniter-Unfall-Hilfe. In Deutschland lebten Ende 2019 rund 4,1 Millionen Menschen, die pflegebedürftig waren. Vier von fünf Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt. Eine Mehrzahl der Menschen, die zu Hause jemanden pflegen, sind erwerbstätig. Über 70 Prozent davon sind Frauen.

Die Rollenverteilung in der Familie ändert sich

Partner, Großvater oder Mutter finden sich in neuen Rollen wieder: Wer früher den Ton angegeben hat, verhält sich in der neuen Situation unsicher, möglicherweise sogar kindlich. Gerade wer Demenzkranke pflegt, steht vor großen Herausforderungen. Der Umgang ist oft schwierig, da demenzkranke Menschen sich unberechenbar verhalten können und zu ihrem eigenen Schutz eine ständige Beaufsichtigung benötigen.

„VdK-Studie: Häusliche Pflege am Limit – ein Drittel aller pflegenden Angehörigen ist überfordert.“

Ältere Dame sortiert eigenständig an ihrem Tisch Tabletten in ihre Tablettenbox

Foto: Johanniter / Upfront Photo & Film GmbH

Pflege belastet – emotional und körperlich

Wer einen Verwandten oder nahestehenden Menschen pflegt, ist einer hohen Belastung ausgesetzt. Die Hochschule Osnabrück hat im Auftrag des Sozialverbands VdK die Folgen untersucht. Ergebnis: Überlastung ist fast an der Tagesordnung. Fast zwei Drittel der Befragten sind durch die Situation gesundheitlich belastet. Drei von zehn Befragten geben sogar an, die Pflegesituation greife ihre eigene Gesundheit an.

Foto: Johanniter / Upfront Photo & Film GmbH

Hinterfrage dein Pflichtgefühl

Insbesondere ältere Menschen bürden sich mit einer zu pflegenden Person körperliche und psychische Belastungen auf. Gerade bei Ehepartnern überwiegt gegen die Vernunft meistens das Pflichtgefühl. Sie sollten sich also die Frage stellen: Bin ich dem gewachsen?

Jüngere Angehörige müssen prüfen, wie sich diese Aufgabe mit dem Beruf vereinbaren lässt. TK-Pflegeexperte Wolfgang Flemming: „Pflege ist ein Vollzeitjob. Knapp zwei Drittel der Pflegenden sind täglich im Einsatz.“

Hinterfrage dein Pflichtgefühl

Insbesondere ältere Menschen bürden sich mit einer zu pflegenden Person körperliche und psychische Belastungen auf. Gerade bei Ehepartnern überwiegt gegen die Vernunft meistens das Pflichtgefühl. Sie sollten sich also die Frage stellen: Bin ich dem gewachsen?

Jüngere Angehörige müssen prüfen, wie sich diese Aufgabe mit dem Beruf vereinbaren lässt. TK-Pflegeexperte Wolfgang Flemming: „Pflege ist ein Vollzeitjob. Knapp zwei Drittel der Pflegenden sind täglich im Einsatz.“

Nutze staatliche Unterstützung

Dabei gibt es für die Pflegenden zu Hause, die den größten Pflegedienst in Deutschland darstellen, zahlreiche Hilfestellungen. So hast du Anspruch auf umfassende Beratung und „Urlaub von der Pflege“. Außerdem bietet das Pflegestärkungsgesetz eine zehntägige Auszeit für berufstätige Angehörige im sogenannten Akutfall. Der Lohnausfall wird dabei durch das Pflegeunterstützungsgeld aufgefangen. Auch die Familienpflegezeit wird immer mehr abgesichert. Sie bedeutet, dass pflegende Angehörige ihre Arbeitszeit reduzieren können.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, mit den Eltern zu sprechen?

Wie kann ich mich also vorbereiten? Wann sollte ich mit meinen Eltern sprechen? Helvi Seehafer, Fachbereichsleitung Pflege bei der Johanniter-Unfall-Hilfe: „Den richtigen Zeitpunkt gibt es sicher nicht. Aber wenn eine Person zum Beispiel nur noch einseitig isst und den Haushalt nicht mehr schafft, sollte Unterstützung in Erwägung gezogen werden.“

Foto: Johanniter / Upfront Photo & Film GmbH

Unterschätze die mentale Belastung nicht

„Bei der Entscheidung, die Pflege eines Angehörigen zu übernehmen, werden gerade die seelischen Anforderungen häufig unterschätzt. Dabei können sie den Pflegealltag enorm belasten“, so Diplom-Psychologe Dieter Best. Pflege ist ein steter persönlicher Balanceakt: Einerseits muss man für die Hilfsbedürftigen Entscheidungen treffen und Verantwortung tragen, andererseits muss man darauf achten, dass sie trotzdem ihre Autonomie und Würde behalten. Und dann gilt es auch noch, die eigenen Ansprüche und Grenzen mit den Pflegeaufgaben in Einklang zu bringen. Nicht selten leben in der angespannten Situation ungelöste Familienkonflikte oder alte Verhaltensmuster wieder auf – und belasten zusätzlich.

Unterschätze die mentale Belastung nicht

„Bei der Entscheidung, die Pflege eines Angehörigen zu übernehmen, werden gerade die seelischen Anforderungen häufig unterschätzt. Dabei können sie den Pflegealltag enorm belasten“, so Diplom-Psychologe Dieter Best. Pflege ist ein steter persönlicher Balanceakt: Einerseits muss man für die Hilfsbedürftigen Entscheidungen treffen und Verantwortung tragen, andererseits muss man darauf achten, dass sie trotzdem ihre Autonomie und Würde behalten. Und dann gilt es auch noch, die eigenen Ansprüche und Grenzen mit den Pflegeaufgaben in Einklang zu bringen. Nicht selten leben in der angespannten Situation ungelöste Familienkonflikte oder alte Verhaltensmuster wieder auf – und belasten zusätzlich.

Suche den Austausch

Der Austausch mit anderen Betroffenen kann helfen, eigene Belastungen einzuordnen. In Selbsthilfegruppen begegnen sich pflegende Angehörige, die alle mit einer ähnlichen Situation vertraut sind. Wir haben einige Angebote zusammengestellt:

Das Pflegenetz Forum ist ein Gemeinschaftsforum verschiedener Pflegeseiten.

pflegen-und-leben.de ist ein gemeinnütziges Internetportal für pflegende Angehörige, aber auch für Freunde und Nachbarn, die erkrankte oder hilfsbedürftige Menschen im häuslichen Umfeld versorgen.

Bei der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. finden Angehörige und Betroffene alle Informationen über die Erkrankung und konkrete Hilfe.

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Ein älterer und ein jüngerer Mann sitzen vor einem Tablet- Darüber steht eine junge Frau mit Handy.

Tipps für pflegende Angehörige

Beim Johanniter Pflegecoach finden Angehörige Online-Pflegekurse für die häusliche Pflege. Wie gelingt die Pflege zu Hause und wo fange ich überhaupt an? Hier findest du Informationen und Beratung.

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