Tiere sind gut für die Seele: Was aber machen Wohnungslose mit ihren Lieblingen?
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Der Himmel ist grau an diesem Winternachmittag. Es weht ein kalter Wind über den Vorplatz des AnkER-Zentrums im bayerischen Regensburg. Grau und erschöpft – so könnte man auch die Gesichter vieler beschreiben, die im Warteraum von Haus B1 im ersten Stock heute sitzen.
Flüchtlings- und Integrationsberatung. So der offizielle Name für das, was Patrick Malzer und seine Kolleginnen und Kollegen von den Johannitern hier tun. Doch hinter der nüchternen Bezeichnung verbergen sich echte Schicksale und Menschen, die auf diese Hilfe dringend angewiesen sind.
Patrick Malzer beim Beratungsgespräch (Foto: JUH Regensburg)
Bevor geholfen werden kann, muss zunächst aber erstmal klar werden, wobei: Kommunikation ist der Schlüssel. Doch gerade die Sprachbarrieren sind hier das Problem. Von Arabisch nach Englisch nach Deutsch – zwischendurch mal ein bisschen Bayrisch – und dann alles wieder zurück. Notfalls auch mit Google-Translate.
“Wir haben keine Übersetzer im Team. Das ist in der Förderung nicht vorgesehen. Wäre natürlich besser. Allerdings würden wir das Personal, in dem Umfang und für die verschiedenen Sprachen, wie wir es bräuchten, auch gar nicht bekommen. Wir sind abhängig davon, dass uns Menschen wie Djamila* unterstützen,” erklärt Patrick die prekäre Situation.
*(die Namen aller Geflüchteten wurden von der Redaktion geändert)
Foto: Martin Lostak
Djamila. Eine junge Frau mit blonden Wuschelkopf. Immer gut gelaunt. Dabei gäbe es genug, worum sie sich gerade Gedanken machen könnte: um ihren Mann und ihre Kinder, die sie auf der Flucht aus Syrien im Libanon zurücklassen musste, um ihr Leben als Lehrerin, von dem nichts mehr übrig ist und vor allem, um ihr eigenes Asylverfahren.
Doch Herumsitzen und Warten ist für Djamila keine Option: “Ich glaube fest daran, dass – wenn ich anderen Menschen helfe – Gott das sieht und dann werden auch mir andere Menschen helfen." Also ist sie hier. An jedem Beratungstag. Über Stunden für eine kleine Aufwandsentschädigung, die bei weitem nicht entlohnen kann, was sie und weitere freiwillige Helferinnen und Helfer an Unterstützung hier leisten. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass der Betrieb weiterläuft.
AnkER-zentrum Regensburg
Die Unterkunft ist auf 960 Bewohnerinnen und Bewohner ausgelegt. Aktuell leben dort ca. 1.600 Menschen. Den verschiedenen AnkER-Zentren im Bundesgebiet werden Menschen nach Herkunftsland schwerpunktmäßig zugewiesen. In der Einrichtung in Regensburg sind vor allem Asylsuchende aus Syrien, dem Iran, Äthiopien, Tunesien, der Republik Moldau und der Ukraine untergebracht.
Foto: Martin Lostak
- Patrick Malzer
Auf Hilfe angewiesen sind auch Esma und ihre Mutter Fadila. Die beiden syrischen Frauen haben jede Menge medizinische Unterlagen dabei. Untersuchungsberichte aus dem nahegelegenen Krankenhaus, Überweisungsschreiben aus der Arztpraxis, ein Kassenbon aus der Apotheke. Fadila erklärt der Übersetzerin auf Arabisch die Lage. Es geht um einen OP-Termin. Sie zückt dabei ihr Handy, das sie durch eine Spende erhalten hat, um eine Adresse nachzuschlagen. “Mia san Mia” – ein großes Logo des FC Bayern München ziert die Hülle des Mobiltelefons.
Djamila gibt die wichtigsten Informationen an Patrick auf Englisch weiter. Der ist währenddessen schon in die Lektüre des Arztberichts vertieft. “Ah, Schussverletzung. Kommt immer wieder vor.” Esma wurde bei Protesten in Syrien als Minderjährige angeschossen. Jetzt ist sie 22 und die Kugel steckt noch immer in ihrem Körper.
2021 sind sie hier zu dritt mit zwei Vollzeitstellen gestartet. Gemeinsam mit der Caritas versucht das JUH-Team so vielen Bewohnerinnen und Bewohnern wie möglich beim Ankommen in Deutschland zu helfen. Inzwischen hat sich die Teamgröße verdoppelt – nicht zuletzt, um auch die große Zahl an ukrainischen Geflüchteten zu betreuen, die seit Kriegsbeginn ihre Heimat verlassen mussten.
Mehrere Sozialpädagogen, eine Psychologin und eine Psychotherapeutin tun ihr Möglichstes, um den vielfältigen Problemen der Menschen in der Asylunterkunft gerecht zu werden.
Nadine Gold, Abdeslam Chaoui, Lena Jung, Patrick Malzer, Theresa Gröschl, Marie-Luise Linke (Foto: JUH Regensburg)
Foto: Wesley Tingey
“Ein grundsätzliches Interesse für Menschen ist natürlich wichtig. Wir verstehen uns hier als FürsprecherInnen dieser Menschen. Das heißt, wir machen uns – wenn nötig – auch unbeliebt bei Behörden oder anderen Stellen. Ich bin nicht die Regierung, ich entscheide nicht über diese Menschen. Das machen andere. Ich bin hier, um sie zu unterstützen. Dazu gehört auch, dass man sich in rechtliche Themen reinfuchst. Das ist alles oft sehr frustrierend, aber unser Spirit ist eben: Wir wollen was bewegen. Wenn man so denkt, dann kommt man auch mit dem Frust klar.”
Foto: Wesley Tingey
Nicht frustriert, aber doch ziemlich verwirrt schaut Hamid, ein iranischer Mann um die 40, durch die Plexiglasscheibe – eines der letzten Pandemie-Überbleibsel. “Das Amt möchte wissen, wie ihre Exfrau heißt, wann sie geboren wurde und wie lange sie verheiratet waren,” erklärt Malzer das Schreiben des Sozialamts. Was das mit Hamids aktueller Situation zu tun haben soll, weiß keiner der Anwesenden. Aber das ist bei vielen Formularen, die hier jeden Tag ausgefüllt werden, so.
Zahlen & Fakten zum Thema Flucht & Asyl
2022 wurden in Deutschland 244.132 Asylanträge gestellt. Mehr als im Vorjahr mit 190.816 Anträgen, aber deutlich weniger als 2016. Damals belief sich die Zahl auf 745.545 Anträge. Die größte Gruppe stammt mit 70.976 Erstanträgen aus Syrien. Geflüchtete aus der Ukraine sind hier nicht miterfasst, da sie kein Asyl, sondern lediglich einen Aufenthaltstitel beantragen müssen.
Foto: Cytonn Photography
Eine positive Überraschung wartet beim letzten Klienten des Tages auf das Beratungsteam. Adil will die Vormundschaft für seinen Neffen erhalten. Ein komplizierter rechtlicher Vorgang. Malzer stellt sich auf ein längeres Gespräch ein und will schon mit der Erklärung loslegen, welche Schritte nötig sind, als der Syrer eine Mappe öffnet und Urkunden, ausgefüllte Anträge und weitere Dokumente vorlegt. “Sie haben ja schon alles erledigt. Ich bin beeindruckt!” Adil schaut leicht verlegen zu Boden.
Als es nach mehreren Stunden geschafft ist, resümiert Malzer: “Ach, das war eigentlich ein ganz normaler Dienstag. Da haben wir auch schon ganz anderes erlebt.”
Der Warteraum ist leer. Draußen vor den Fenstern pfeift immer noch ein eisiger Wind um die Ecken der Betonhäuser. Morgen ist ein neuer Tag, mit neuen Herausforderungen für das Team und die Menschen im AnkER-Zentrum.
Foto: Cytonn Photography