Wie sehen innovative Methoden im Umgang mit der Klimakrise aus?
„Der Boden ist ein Lebewesen, das gepflegt und bewässert werden muss. Ohne Wasser gibt es...
Eimerweise verwandeln die Kinder der Johanniter-Museumskita Lindlar Wasser und Sand in schleimigen Matsch, den sie mit viel Begeisterung im Garten verteilen. Auf den ersten Blick mag das nach Verschwendung klingen. Doch die Kinder wissen, dass sie mit dem übrigen Wasser auch noch ihre Pflanzen gießen können. Nachhaltigkeit und Recycling sind nämlich zentrale Bestandteile des bundesweit einzigartigen pädagogischen Konzepts, das die nordrhein-westfälische Kindertagesstätte verfolgt.
Foto: Jordan Whitt
Wir haben uns mit dem Leiter der Einrichtung, Julian Gilsdorf, getroffen und nachgehakt: Was macht er mit seinem Team im Vergleich zu Regel-Kitas anders? Sind Kinder mit diesem Thema nicht überfordert und warum ist sein Konzept heute so wichtig?
Foto: Julian Gilsdorf
Für mich persönlich ist Nachhaltigkeit eine Haltung, die durch verschiedene Konzepte geprägt wird. Wenn ich im Alltag eine nachhaltige Haltung habe, dann gehe ich auch an Herausforderungen direkt anders heran.
Ein Beispiel: Wir wollen ein neues Projekt umsetzen wie z.B. ein Gemüsebeet für die Kita oder ein neues Kunstprojekt. Dabei denken wir gleich zu Beginn der Planung darüber nach, wie wir dafür möglichst wenig Neues produzieren und kaufen müssen und dabei am besten Mensch und Umwelt schützen können.
Wenn diese Haltung der Großteil der Menschen teilen würden, hätten wir als Gesellschaft auf jeden Fall eine Chance, etwas für den Klimaschutz zu tun.
Zur Person: Julian Gilsdorf
Der staatlich anerkannte Erzieher wurde 1990 in Bonn geboren und hat 2018 bei der Johanniter-Unfall-Hilfe als pädagogische Fachkraft angefangen. 2020 hat er die leitende Funktion in der Museumskita im Oberbergischen Kreis übernommen.
Foto: Julian Gilsdorf
Die Kita steht auf dem Gelände des Freilichtmuseums in Lindlar. Nachhaltigkeit und das Erleben von Kulturtechniken gehören zu den pädagogischen Schwerpunkten. Wenn ein Satz unsere Philosophie ausdrücken sollte, dann dieser: “Ich kann nur das schützen, was ich liebe und kenne”. Und das versuchen wir auch unseren Kindern zu vermitteln. Die sollen nämlich möglichst viel selbst und vor allem auch eigenverantwortlich erfahren und erleben können. Das reicht von ganz kleinen Dingen, wie das Entdecken einer Wiese bis hin zu ganz großen Ökosystemen, wie unsere Weltmeere.
Wenn die Kinder dafür eine Liebe entwickeln, dann glaube ich, haben wir die Chance, dass sie langfristig auch eine nachhaltige Haltung entwickeln können. Und genau das versuchen wir den Kindern mit auf den Weg zu geben.
Zukunftsinstitut 2019:
Die Anzahl an Einwegflaschen, die allein Coca-Cola jährlich produziert, würde aneinandergereiht 31-mal zum Mond und wieder zurück reichen.
Foto: Johanniter / Upfront Photo & Film GmbH
Das direkte Erfahren ist für die kindliche Entwicklung enorm wichtig. Aus diesem Grund fördern wir das auch so. Denn wirkliches Erleben und Spüren sind durch nichts zu ersetzen. Wir haben das vor allem in der Pandemie gemerkt. Die Kinder waren größtenteils Zuhause und nicht in der Kita. Sie haben ihre Infos, Briefe, teilweise Videos und Bilder nach Hause geschickt bekommen. Das “selbst Dabeisein” ging total unter. Das Streicheln der Schafe im Freilichtmuseum und das eigenständige Fühlen: “Wie fühlt sich die Wolle von so einem Schaf überhaupt an?” ging verloren. Das kann ich auch nicht digital und auf Distanz vermitteln.
Das betrifft viele nachhaltige Themen – Lebensmittel, Wasser, Strom – gerade heute sind diese Dinge aktueller und wichtiger denn je. Doch ohne das direkte Erfahren fehlt die Verknüpfung und die Bindung zu all diesen Sachen. Habe ich allerdings eine Liebe zu einem bestimmten Thema aufgebaut, dadurch, dass ich es selbst erfahre oder begreife, verstehe ich auch die Bedeutung, warum es so wichtig ist, etwas zu schützen.
Foto: Johanniter / Upfront Photo & Film GmbH
Wir sind viel draußen, im Museum, aber auch in umliegenden Natur- und Kulturräumen. Ob das der Wald ist, der Bauernhof, die Gemeinde, die Wiese oder einfach vor der Haustür. Die Kinder erleben zudem im Freilichtmuseum, wie Tierhaltung, Ackerbau oder Handwerk in den vergangenen 200 Jahren praktiziert wurden. Was für den Schutz der Umwelt und für den verantwortungsvollen Umgang mit Tieren, Pflanzen und Klima wichtig ist.
Hinzu kommt die “offene Arbeit” mit den Kindern. Das bedeutet, dass diese keine Gruppenräume haben, wie sie in einer Regelkita vorkommen, sondern verschiedene Funktionsräume. Diese sind auf bestimmte Tätigkeiten aufgeteilt: Eine Bastelwerkstatt zum Werkeln, ein Bistro zum Mittagessen, usw.
Aber natürlich haben wir noch viele weitere Ideen - wie zu oft gibt es aber auch hier finanzielle Grenzen und wir müssen manchmal Abstriche machen. Das bedeutet aber auch, dass unser Weg noch nicht zu Ende ist. Wir können noch an manchen Schrauben drehen und noch viele weitere Dinge in der Zukunft umsetzen.
Es gibt hier im Museum einen Archegarten, der von einem lokalen Verein betrieben wird. Hier werden verschiedene Pflanzen- und Nutzpflanzensorten aus dem bergischen Land erhalten. In der modernen Landwirtschaft hätten diese nämlich keinen Raum mehr, weil sie nicht auf Effizienz gezüchtet wurden. Unsere Kinder bewirtschaften hier nahezu eigenständig eine Parzelle. Zusammen mit den Freiwilligen und den Ehrenamtlichen aus dem Verein überlegen sie selbstständig: Welche Pflanzen sollen zum Arterhalt angebaut werden? Dabei lernen die Kinder, dass Karotten oder Tomaten auch anders aussehen und schmecken können, als die aus der eingeschweißten Verpackung im Supermarkt.
"Dabei lernen die Kinder, dass Karotten oder Tomaten auch anders aussehen und schmecken können, als die aus der eingeschweißten Verpackung im Supermarkt."
Es gibt viele Eltern, die es richtig finden, dass ihr Kind naturnah aufwächst. Viele teilen auch unser Konzept, dass ihre Kinder viel Selbsterfahrung in möglichst vielen Bereichen machen sollen. Das ist toll und zeigt, wie weit das Thema in der Gesellschaft schon ist. Zudem passen wir uns vollkommen der Bedürfnisse der Kinder an, damit diese mit dem Konzept auch nicht überfordert werden. Dafür sind wir ja auch als Erzieherinnen und Erzieher da.
Foto: Johanniter / Upfront Photo & Film GmbH
"Nur wenn möglichst viele Menschen eine nachhaltige Haltung verinnerlichen, haben wir als Gesellschaft eine Chance!"
Grundsätzlich müssen wir dahin kommen, das wir dieses Konzept in der Frühpädagogik verankern, denn das bleibt ein Leben lang hängen. Wenn ich als Kind merke “Natur ist schützenswert” dann werde ich das auch im Erwachsenenalter tun.
Und ich glaube fest daran, dass es auch das ist, was wir als Gesellschaft verstehen müssen: Für eine nachhaltige Zukunft müssen wir den Grundstein bereits in der Kita legen. Es gibt also für Träger und die Politik eine Menge zu tun, um Einrichtungen entsprechend auszustatten und eine Lösung für den Fachkräftemangel zu finden. Das würde ich mir auf jeden Fall wünschen.