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FSJ Pflicht­dienst: Vor­teile, Nach­teile & Alternativen

Pflichtdienst, Gesellschaftsjahr, Chancenzeit – Die Debatte um einen FSJ Pflichtdienst für alle in Deutschland flammt immer wieder auf. Viele sehen darin eine Chance für sozialen Zusammenhalt und gegen den Fachkräftemangel. Andere warnen vor hohen Kosten und verfassungsrechtlichen Hürden. Die Johanniter plädieren für Freiwilligkeit – und einen Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst.

Pflichtdienst leistende Person hilft einer älteren Person beim Aussteigen aus dem Auto.

Foto: Pexels

Nach 55 Jahren setzte die Bundesregierung 2011 die allgemeine Wehrpflicht aus – unter anderem, weil sie sich sicherheitspolitisch nicht mehr rechtfertigen ließ. Doch der Krieg in der Ukraine und andere geopolitischen Krisen verändern den Diskurs: Im Sommer stellte der Verteidigungsminister Boris Pistorius seine Idee für einen „neuen Wehrdienst“ vor, der über eine verstärkte Ansprache mehr Menschen für den Dienst bei der Bundeswehr begeistern soll (Quelle: BMVG). Und immer wieder wird auch die Idee eines sozialen Pflichtdienstes diskutiert – ein einjähriges Gesellschaftsjahr, in dem sich Personen sozial engagieren.

Pro-Argumente & Vorteile eines FSJ Pflichtdiensts

Für viele Befürworterinnen und Befürworter liegen in einem Pflichtdienst große Chancen, um verschiedenen gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen.

 

  • Menschen im FSJ Pflichtdienst leisten einen Beitrag zum gesellschaftlichen Miteinander. Ein Pflichtdienst könnte den sozialen Zusammenhalt, die gesellschaftliche Verantwortung und das Demokratieverständnis stärken.

 

  • Ein Jahr für die Gesellschaft eröffnet Menschen die Chance, ein neues Tätigkeitsfeld kennenzulernen und wichtige Erfahrungen zu sammeln. Soziale Berufe könnten attraktiver werden, was dem Fachkräftemangel entgegenwirkt.

 

  • Gerade für junge Menschen kann ein sozialer Dienst eine prägende Erfahrung sein. Er kann zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen und das soziale Bewusstsein stärken – etwa für soziale Ungleichheiten oder Diskriminierungen. Zudem ermöglicht ein Pflichtdienst, Gemeinsamkeiten mit Menschen außerhalb des eigenen sozialen Milieus kennenzulernen.

 

  • In Krisen ist jede helfende Hand gefragt: Ein Pflichtdienst könnte für ausreichend geschulte und qualifizierte Menschen in Not- und Krisenzeiten sorgen.

 

  • Einen FSJ Pflichtdienst einzuführen, würde eine gesicherte Finanzierung durch den Staat mit sich bringen. So gäbe es keine beschränkten Plätze oder begrenzte finanzielle Ressourcen.
Hände und Arme verschiedener Menschen sind zu sehen, die einen Baum gemeinsam pflanzen.

Foto: Pexels

Kontra-Argumente & Nachteile eines FSJ Pflichtdiensts

Doch was spricht gegen einen Pflichtdienst? Kritikerinnen und Kritiker führen unterschiedliche Argumente an.

 

  • Die Einführung eines allgemeinen gesellschaftlichen und sozialen Pflichtdienstes ist verfassungsrechtlich schwer umzusetzen, denn dafür müsste man das Grundgesetz ändern. Dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat, die es derzeit nicht gibt. Der Wissenschaftliche Dienst erklärt dazu: “Die Einführung eines allgemeinen gesellschaftlichen und sozialen Pflichtdienstes würde gegen Art. 12 Abs. 2 GG verstoßen”. Dieser besagt: Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden.

 

  • Keine Maßnahme gegen Fachkräftemangel: Laut dem Grundsatz der Arbeitsmarktneutralität dürfen Freiwillige regulär Beschäftigte nicht verdrängen – sie dürfen nur zusätzliche Arbeit leisten. Ein Pflichtdienst kann daher kein Ersatz für eine professionelle Tätigkeit sein. Ein Pflichtdienst löst auch den Personalmangel in sozialen Berufen nicht nachhaltig, da es sich bei den Pflichtdienstleistenden nicht um ausgebildete Arbeitskräfte handelt.

 

  • Hohe Kosten: Die Einführung eines Pflichtdienstes würde immense Kosten mit sich bringen. Schätzungen belaufen sich auf 15 Milliarden Euro pro Jahr. Im Vergleich: Konservative Schätzungen lassen erahnen, dass circa 800.0000 junge Menschen pro Jahr einen solchen Pflichtdienst absolvieren würden. Schon jetzt reichen die finanziellen Mittel nicht aus, um 100.000 Freiwilligendienstleistenden ein Ticket für den ÖPNV oder ein ausreichendes Taschengeld zu finanzieren.

 

  • Junge Leute in sozialen Berufen brauchen gute Betreuung. Dafür fehlt es momentan an Möglichkeiten und Personal. Fachkräfte fehlen auch im sozialen und medizinischen Bereich. Ohne sie können Pflichtdienstleistende nicht ausreichend eingebunden und ausgebildet werden. Zudem fehlen die Strukturen, um von 0 auf 100 alle betreffenden Personen zu verpflichten.

 

  • Ein Pflichtdienst ändert die Rahmenbedingungen nicht: Soziale Berufe erhalten wenig Anerkennung bei wenig Geld und hoher Arbeitsbelastung. Dass das Menschen abschreckt, ändert auch ein Pflichtdienst nicht. Gesellschaftlicher Zusammenhalt lässt sich nicht staatlich verordnen. Die durch einen Pflichtdienst erwarteten positiven Effekte sind jetzt schon bei den Freiwilligendiensten sichtbar. Was es braucht ist eine deutliche Steigerung der Anerkennungskultur für diese besondere Form des Engagements, monetär aber auch in der Gesellschaft.

Foto: Pexels

Positionierung der Johanniter

Die Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. begrüßt die Debatte darüber, wie wir das soziale Engagement in der Gesellschaft stärken können. Was wir brauchen, sind wirksame und gezielte Maßnahmen, die sich sofort umsetzen lassen. Wir sprechen uns für die Freiwilligkeit aus und setzen uns dafür ein, die Freiwilligendienste auszubauen und zu stärken. Gemeinsam mit anderen Verbänden und Organisationen fordern wir ein Recht auf einen Freiwilligendienst. Damit wollen wir die Freiwilligendienste bis 2030 auf 200.000 verdoppeln.

Denn klar ist: Das Potenzial der Freiwilligendienste wird nicht genug ausgeschöpft. Vielerorts übersteigt die Nachfrage das Angebot an Plätzen für Freiwillige. Auch ohne eine gesetzliche Verpflichtung gibt es eine Bereitschaft zu sozialem, gemeinnützigem Engagement. Das zeigen die fast 100.000 vorwiegend jungen Menschen, die sich gegenwärtig in einem Jugend- oder Bundesfreiwilligendienst engagieren. Bei der Johanniter-Unfall-Hilfe bringen sich jährlich rund 1.900 Freiwilligendienstleistende ein.

Positionierung der Johanniter

Die Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. begrüßt die Debatte darüber, wie wir das soziale Engagement in der Gesellschaft stärken können. Was wir brauchen, sind wirksame und gezielte Maßnahmen, die sich sofort umsetzen lassen. Wir sprechen uns für die Freiwilligkeit aus und setzen uns dafür ein, die Freiwilligendienste auszubauen und zu stärken. Gemeinsam mit anderen Verbänden und Organisationen fordern wir ein Recht auf einen Freiwilligendienst. Damit wollen wir die Freiwilligendienste bis 2030 auf 200.000 verdoppeln.

Denn klar ist: Das Potenzial der Freiwilligendienste wird nicht genug ausgeschöpft. Vielerorts übersteigt die Nachfrage das Angebot an Plätzen für Freiwillige. Auch ohne eine gesetzliche Verpflichtung gibt es eine Bereitschaft zu sozialem, gemeinnützigem Engagement. Das zeigen die fast 100.000 vorwiegend jungen Menschen, die sich gegenwärtig in einem Jugend- oder Bundesfreiwilligendienst engagieren. Bei der Johanniter-Unfall-Hilfe bringen sich jährlich rund 1.900 Freiwilligendienstleistende ein.

Foto: Pexels

Rechtsanspruch auf Freiwilligendienst als Alternative

Ein Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst bedeutet: Jede Person – unabhängig von Alter, Bildung, Herkunft oder Einkommen – erhält eine Einladung und kann sich zum Freiwilligendienst beraten lassen. Zudem soll der Bund ein Taschengeld zahlen, das sich am BAföG-Höchstsatz orientiert.

Durch einen solchen Rechtsanspruch bleibt das Angebot weiterhin freiwillig. Aber: Man würde es so ein Stück mehr "institutionalisieren" und zugänglicher gestalten. Das ist auch das Ziel eines Pflichtdienstes, doch der Rechtsanspruch ist leichter umzusetzen – und daher ein sinnvoller nächster Schritt. Damit würden Rahmenbedingungen geschaffen, die es jedem jungen Menschen, der es möchte, ermöglichen, sich in die Gesellschaft einzubringen.

Ein staatlich gestärkter und attraktiver Freiwilligendienst könnte mehr junge Menschen anziehen und die Notwendigkeit eines FSJ Pflichtdienstes verringern. Gleichzeitig könnten so strukturelle Voraussetzungen geschaffen werden, auf denen sich – sofern notwendig – ein Pflichtdienst aufbauen lässt.

Ausblick: Wie geht es weiter?

Die Einführung einer Dienstpflicht in den kommenden Legislaturperioden ist mit einer Vielzahl verfassungsrechtlicher und struktureller Hürden verbunden und daher eher unwahrscheinlich. Auch beim Ausbau der Freiwilligendienste sieht es derzeit nicht gut aus: In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Bundesregierung festgehalten, die Freiwilligendienste ausbauen zu wollen. Sie plante aber das Gegenteil: Im Haushaltsentwurf für 2025 sind bei den Freiwilligendiensten Kürzungen in Höhe von 40 Millionen Euro geplant – 17 Millionen beim FSJ, 23 Millionen beim BFD. Das könnte dazu führen, dass sich weniger statt mehr junge Menschen im Freiwilligendienst engagieren.

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